17.11.2023

Nachhaltigkeit als Wirtschaftsfaktor

Dass Nachhaltigkeit eine Erfindung aus wirtschaftlichen Interessen gewesen ist, war sicherlich neu für die meisten der Zuhörenden beim Vortrag von Dr. Helge Wulsdorf, der sich seit 20 Jahren mit dem Thema befasst. Auf Einladung der Fairen Gemeinde Belecke referierte er über Nachhaltigkeit als Wirtschaftsfaktor und brachte seine Erfahrung bei der Bank für Kirche und Caritas anschaulich ein.

Nachhaltig sollten im 18. Jahrhundert die Wälder bewirtschaftet werden, damit auch zukünftig genügend Nutzholz für die zahlreichen Bergwerke geerntet werden könnte. Heute wird der Begriff weltweit verwendet mit dem Ziel, zukünftigen Generationen das Überleben auf der Erde zu ermöglichen. Ein Modell in Dreiecksform zeigt die Wechselbeziehungen zwischen den Bereichen Wirtschaft (Ökonomie), Umwelt (Ökologie) und Gesellschaft (Soziales). Alle drei müssen bei unseren Entscheidungen berücksichtigt werden, um die Ziele der Nachhaltigkeit zu erreichen.

Das Versagen beim Klimaschutz rangiert unter den größten wirtschaftlichen Risiken an erster Stelle, wie die Umfragen beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos ergeben. Das Nichtstun koste riesige Summen wegen der immensen Schäden durch Extremwetter. Allein der Tornado in Paderborn kostete 125 Millionen Euro, sagte Wulsdorf.

Er betonte, dass die Menschheit insgesamt, besonders in den Industrieländern, zu viele Ressourcen verbrauche. Der Verbrauch der deutschen Wirtschaft liegt dreimal so hoch wie der Planet eigentlich ertragen könnte. Die wissenschaftlich fundierten Daten sind zwar nicht neu, aber sie begründen die nun einsetzende Transformation der Wirtschaft.

In Europa wird die Transformation in Gesetzen und Verordnungen konkret. Große Firmen werden verpflichtet, über Details von Nachhaltigkeit Bericht zu erstatten, Klimabilanzen zu erstellen und Lieferketten kritisch zu untersuchen. Banken müssen diese Berichte zugrunde legen, wenn sie Kredite nach Risiken bewerten. Je mehr CO2-Ausstoß, desto höher das Risiko, weil Verschmutzungszertifikate teurer werden. Diese Berichtspflicht wird absehbar auf mittlere und kleine Betriebe ausgeweitet, sobald sie Kredite anfragen – mit direkter Auswirkung auf den Zinssatz. Wulsdorf berichtete zwar über Probleme bei der Daten- und Risikobewertung in der Praxis, aber: „Das wird unvermeidlich kommen.“ Es gebe schon ein neues Regelwerk für Banken und Steuerprüfer. Damit werde Greenwashing schneller aufgedeckt und Lieferketten transparenter gemacht.

Den Verbrauchern riet er, sich selbst ein Bild von der eigenen CO2-Bilanz zu machen. Das Umweltbundesamt (UBA.de) biete einen CO2-Rechner auf seiner Homepage an, der einen schnellen Überblick ermögliche. Dort sei nachvollziehbar, welchen Unterschied die eigenen Entscheidungen machen, beispielsweise der Verzicht auf Flugreisen.

Wulsdorf schilderte die Bemühungen der Kirchen, Nachhaltigkeit in allen Bereichen ihres Engagements zur Entscheidungsgrundlage zu machen: „Bisher beruhte das alles auf Freiwilligkeit, aber nun verpflichtet uns das EU-Regelwerk dazu.“ Die moralische Verpflichtung wurde durch Papst Franziskus in diesem Jahr mit sein Lehrschreiben „Laudate Deum“ bekräftigt: Das Wirtschaftswachstum als einzige Kenngröße einer erfolgreichen Wirtschaft kann nur zu mehr Ressourcenverbrauch führen.

Pfarrer Markus Gudermann und Anja Werthmann von der Fairen Gemeinde Belecke bedankten sich bei Dr. Helge Wulsdorf für die erhellenden Einblicke in das ausgesprochen komplexe Thema Nachhaltigkeit.

Theo Sprenger

 

Interview im DOM