Ein silberner Stern möchte den Pilgern in der Geburtskirche zu Betlehem den genauen Ort zeigen, wo Jesus geboren wurde. Er erinnert daran, dass Gottes Sohn nicht nur der Legende nach, sondern wirklich Mensch wurde: in die Zeit hinein, in geschichtliche Zusammenhänge hinein, in des Menschen Freud und Leid hinein.
Das Weihnachtsfest 2024 steht nun unmittelbar bevor. In vielen Familien mag es wie immer ablaufen. Für manche Menschen aber wird es vielleicht auch anders sein als in früheren Jahren. Das Fest feiern wir ja gerne in Gemeinschaft, mit Begegnung, mit Gaben und Gespräch. Es soll harmonisch verlaufen. Das ist eine tiefe Sehnsucht in uns. Menschen haben Angst, allein zu sein, und viele sind es am Ende doch, weil der Partner fehlt, weil die Kinder weit weg wohnen und nicht zum Fest kommen werden, weil vielleicht Alter oder Krankheit drücken oder die Härten des Lebens den einen oder die andere an den gesellschaftlichen Rand gebracht haben. Auch für mich persönlich wird es dieses Jahr, nach einem Stellenwechsel als neuer Seelsorger im Pastoralen Raum Warstein erst provisorisch angekommen, ganz anders sein.
In der liturgischen Vorbereitung der Weihnachtsliturgie fiel mir dieses Jahr ein Satz besonders ins Auge. Im Weihnachtsevangelium heißt es: „Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen.“
Das erinnerte mich zunächst daran, dass auch ich mich ja nun in Warstein beim Einwohnermeldeamt noch eintragen lassen muss. Aber nicht das war es, was mir so besonders auffiel, sondern das Wort „Syrien“. In einem Buch las ich einmal, dass es früher in manchen Ländern den Brauch gab, vor Weihnachten Gefangene zu entlassen, und dass es in der Gegenwart erstaunlicherweise nicht wenige Gefängnisinsassen gibt, die gerne noch über Weihnachten dort bleiben möchten, weil sie sich mit der neuen Situation – gerade mit Blick auf die so besondere Zeit – überfordert fühlen.
Was waren das für erschreckende und gleichzeitig schöne Bilder aus Syrien, die nach dem Sturz Assads die Gefangenen zeigten, die aus den Kerkern befreit wurden, vom Licht geblendet, in Unkenntnis der neuen Situation voller Angst, nun getötet zu werden. Und dann die Freude: Es wird alles gut! Jahrzehnte im Kerker, zum Teil zugemauert, vielfach von den Peinigern selbst vergessen – nicht aber von den Angehörigen und Freunden! Man möchte sagen: Ein wirklich weihnachtliches Geschehen! „Der Herr macht die Gefangenen frei“, heißt es im Psalm 146,7.
Der Theologe und Schriftsteller Albrecht Goes hat einmal gesagt: „Weihnachten heißt: Der Mensch hat Zukunft. Die ewige Liebe ist für den Menschen, sie ist nicht gegen ihn und auch ohne ihn will sie nicht sein. Es hat ihr gefallen, in demjenigen, der da geboren wurde, uns hilfreich vor Augen zu stellen, wie es eigentlich mit dem Menschen gedacht ist und was es mit dem Menschen für einen Weg nehmen soll.“
Gott hat den Menschen als ein „zu liebendes Gegenüber“ geschaffen und seinen Sohn gesandt, damit ein unheilvoller Schuldzusammenhang überwunden werden konnte, der in der Absicht des Menschen, Gott gleich zu werden, von ihm entfernte. Krippe und Kreuz, Kreuz und Auferstehung gehören zusammen.
Ich mag das Lied von Rolf Zuckowski „In der Weihnachtsbäckerei“ im Auto hören, aber es sind wesentlich doch die Kirchenlieder und Choräle, die das Eigentliche der Weihnacht vermitteln möchten: „Welt ging verloren, Christ ist geboren, freue, freue dich, o Christenheit.“ Die Verlorenheit des Menschen, auch meine heutige menschliche Armseligkeit, meine Schuld, meine Angst, meine Unsicherheit, meine Einsamkeit und Traurigkeit, meine Abhängigkeiten und Süchte, vieles was mich gefangen nimmt, sind in diesem Geschehen von einst schon „auf-gefangen“ und zur Freiheit geführt.
Das Licht dieser Geburt, so sagt es das Evangelium, die „gute Nachricht“, hat jede Dunkelheit des Herzens und der Welt erhellt. Um das zu erkennen, muss ich – wie das Hirtenvolk und die Magier – aufbrechen, auf die Suche gehen, diesem Jesus, wenn ich ihn gefunden habe, nachgehen, sein Leben auf mein Leben hin deuten und mich der Gemeinschaft der Glaubenden anschließen, die mich, mit all ihrer Menschlichkeit, trotz all ihrer Schwächen und Fehlern, zu tragen weiß. Wo kann ich da ansetzen? Na ja, zur Kirche gehen und dort „in geheimnisvoller Gleichzeitigkeit zu einst“, wie Papst Johannes Paul II. einmal sagte, das Geburtsfest des Herrn mitfeiern. Das wäre doch ein guter erster Schritt.
Ich wünsche allen die Entdeckung dieses tieferen Weihnachtsfestes, das die Angst überwinden hilft, das unserer Traurigkeit mit Trost begegnet und uns zur gelassenen Festfreude verhilft, die noch im Alltag nachwirkt. Auf dass es uns im guten Sinne blenden mag, das Licht der Heiligen Nacht!
Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest!
Pastor Frank Dietmar Niemeier